Geschichten aus Bendestorf

Apr 5, 2020Allgemeines, Hilfsaktion

Das ist eine Normalitätsmaschine!

 

Vor den Fenstern liegt selbst im beschaulichsten Dorf urplötzlich eine ganz andere Welt. Manch einem unserer älteren Nachbarn dürfte der Blick aus dem Fenster dieser Tage besonders schwer fallen.

Nur noch drei Tage bis zum Start von Let’s dance und ausgerechnet jetzt streikt der Fernseher! Als Teil der Generation Netflix hatte ich haushoch unterschätzt, wie sehr Sendungen wie diese Menschen dabei helfen können, im durcheinandergewirbelten Alltag einen Anker der Normalität zu finden. Der streikende Fernseher einer 86-jährigen, der immer näher rückende Start von Let’s dance – das war nun auch mein Problem. Doch der Reihe nach.

 

“Satellit oder DVB-T2? Receiver-Marke? Schon mal im Setup einen Sendersuchlauf initiiert? Ach, warten Sie, ich komme kurz vorbei und …” Kurzes Schweigen am Telefon. Einen Receiver neu einzustellen ist eigentlich ein Klacks. Doch in Zeiten von Kontaktverboten schnell ein kniffliges Projekt. Und verständlicherweise gehören Schlagwörter wie “Setup”, “Receiver” oder “Set-Top-Box” nicht zum Alltagsvokabular einer 86-jährigen. Wir verstehen uns unbekannterweise blendend, kommen aber fernmündlich nicht weiter. “Ich bleibe dran und melde mich morgen wieder!”.

Noch zwei Tage bis zum Start von Let’s dance. Es kommt wohl vorerst nur eine Übergangslösung in Frage. Das iPad, mit meinem zum WLAN-Hotspot umfunktionierten Smartphone (die Frage nach dem WLAN-Passwort im Haus, nun ja …) und mobiler PowerBank zur Stromversorgung auf der Rückseite wird zu einem tragbaren Fernseher umgebaut. RTL Now App installiert. Könnte klappen, der erste Testlauf sieht vielversprechend aus.

Noch vier Stunden bis zum Start von Let’s dance, heute soll irgendwas Besonderes mit Paartanz sein -doch das wiederum gehört nicht zu meinem Alltagsvokabular. “Hallo – ich glaube, ich habe eine Lösung. Ich würde gleich bei Ihnen vorbeikommen und dann eine Art kleinen, bereits eingeschalteten Fernseher, auf dem RTL in voller Lautstärke läuft vor die Türe stellen, klingeln und mich höflich entfernen. Um 20:00 Uhr bin ich da. Nach der Sendung können sie das … Paket einfach wieder auf die Fußmatte stellen und ich komme es abholen.”

Es klingelt. Ich kann die sehr edel gekleidete Dame schon durch ein Fenster sehen und unsere Blicke treffen sich. Noch 15 Minuten bis zum Start von Let’s dance, worauf Sie sich schon “das ganze Jahr gefreut” hat und nicht genau zu sagen vermag, ob sie “die nächste Staffel noch erleben” wird. Wir reden noch kurz miteinander, doch die Zeit drängt. Als die Türe sich schließt, sehe ich die Dame, mein Tablet unterm Arm, mit erstaunlich flotten Schritten die Treppe hinaufeilen.

Genug getanzt 

Um kurz vor 23:00 Uhr klingelt das Telefon meines Freundes (meine SIM-Karte diente ja als Hotspot und ich hatte ihr die Nummer auf einen Zettel geschrieben). Die Sendung sei zwar noch nicht ganz vorbei, aber sie hätte für heute Abend “genug getanzt” und sei nun bereit, sehr glücklich ins Bett zu gehen. Also schwinge ich mich auf mein Fahrrad und fahre die Strecke durch das nächtliche Bendestorf zu ihr. Froh, dass ich trotz mangelnder Kenntnisse im Nähen von Masken, trotz meiner Angst, mich beim Einkaufen – ob nun für mich oder für andere – anzustecken, trotz meiner sonst eher zurückhaltenden Art und meiner Unwissenheit in Sachen Foxtrott, Quickstep und Paartanz eine Lücke gefunden zu haben, ein klein wenig Trost spenden zu können. “Wissen Sie, das war wirklich toll. Ich bin so stolz auf mich, dass ich mich dazu überwunden habe, mich bei dieser Helfertruppe gemeldet zu haben. Dass ich mich das getraut habe! Ich danke ihnen allen sehr und werde auch meinen Freundinnen am Telefon davon erzählen. Ihr seid alle toll. Gute Nacht!”

Dabei habe ich doch genauso zu danken, für dieses Netzwerk, für das Vertrauen, auf das wir in diesen besonderen Zeiten offenbar bauen können, für die Bekanntschaften. Helfen erfüllt, helfen macht Spaß. Hilfe anzunehmen macht Spaß. Noch vor ein paar Wochen hätte ich mein Handy, mein iPad, meine PowerBank aus Angst vor Diebstahl nicht aus den Augen gelassen.

Heute Nacht war dieser ganze leblose Kram eine Normalitätsmaschine für eine ältere Dame. Ich wünsche mir, dass dieser Zusammenhalt die Corona-Krise noch ganz lange Zeit überdauert. Noch eine Woche bis zur nächsten Folge von Let’s dance. Ich lade schon mal die Akkus auf …

Ein riesen Dankeschön für den schönen Text & die Fotos und natürlich für die kreative Hilfe, an den Technikheld und Verfasser dieser Zeilen, Michael Knott!

1 Kommentar

  1. Petra Schaefer-Hottes

    Ich bin ja soo stolz auf Euch, mega stolz Gruß Mutti

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